Diesen Frühling erhielt ich einen erfreulichen Anruf: Severin Bassin von Foto Video Zumstein in Bern teilte mir mit, ich könne das neue Coronado Sonnenteleskop ST 70/400 drei Wochen lang bei mir zu Hause ausprobieren.
Ein Angebot, das wie gerufen kam: Die Sonnenaktivität nimmt seit 2020 wieder zu und bei blauem Himmel gibt es jetzt auf unserem Tagesstern oft ganz besondere Dinge zu entdecken. Seit Jahren verfolge ich in meiner Sternwarte auf dem Steinhuserberg (www.sattenlegi.ch) mit dem Coronado Solarmax II 90/800 DS das Geschehen auf der Sonne und ich bin es gewohnt, mit einem leistungsfähigen Gerät spektakuläre Details zu beobachten.
Kann die kleinere Version - das ST40/700 - dem grossen Bruder, SM 90/800 DS das Wasser reichen? Eine interessante Frage, auf deren Antwort ich gespannt war.

Die Sonne im H-alpha Licht beobachten

Die Sonne ist eine Kugel aus heissem Gas, hat einen Durchmesser von 1,4 Millionen Kilometer (= 109 Erddurchmesser) und eine Kerntemperatur von 15 Millionen Grad. Ihr Aufbau gleicht dem einer Zwiebel und über der Photosphäre, die wir mit blossem Auge sehen können, liegt die Chromosphäre, eine 2000 km dicke, sehr heisse Gasschicht.
Zu sehen ist diese nur bei totalen Sonnenfinsternissen. Leider lässt ein solches Ereignis oft lange auf sich warten. Zum Glück gibt es heute technische Einrichtungen, mit denen man z.B. daheim im Garten - Sonnenschein und klarer Himmel vorausgesetzt – für sich ganz privat eine Sonnenfinsternis «simulieren» und so die Chromosphäre und deren Details sichtbar machen kann.
Ein paar Zutaten braucht es aber schon dazu:
- ein stabiles Stativ (Luxusvariante: fixe Säule vor dem Haus)
- eine astronomische Montierung zum automatischen Nachführen des Teleskopes
- Okulare mit verschiedenen Brennweiten; noch besser, ein Zoomokular (z.B. 8 – 24 mm)
- und zu guter Letzt ein H-alpha Sonnenteleskop
- Das Tüpfelchen auf dem i: Ein Smartphone oder iPad mit Internetverbindung zu einem Live H-alpha-Teleskop

Das Teleskop startbereit machen und den Tagesstern ins rechte Licht rücken

Die Bedienung des Teleskopes ist sehr einfach: Weder Vorheizen der Filter noch Studieren von umfangreichen Gebrauchsanweisungen sind nötig. Stattdessen:
- Stativ und Montierung aufstellen
- Teleskop (Vixenadapter) befestigen und ausrichten
- Goto-Steuerung starten
- Mit dem Sol Ranger die Sonne mittig im Okular plazieren und richtige Position bestätigen
- Fertig!
Ein bisschen Feinarbeit - es ist eher eine Spielerei – muss allerdings noch sein! Sieht man beim ersten Blick durchs Okular statt Protuberanzen und Spikulen nur eine rote Scheibe und Spiegelbilder, so ist das kein Grund zur Panik. Mit dem Drehrad für die Kontraststeuerung und den beiden T-Max Tunerrädchen lässt sich das im Nu ändern und schon taucht man in eine ganz andere Welt ein – ins H-alpha-Universum.

Wichtig: Möglichst in dunkler Umgebung durchs Okular schauen: Lichtschutz aus schwarzem Karton anfertigen, schwarzes Tuch über Kopf und Okular legen...

Auf Entdeckungsreise mit dem Coronado 70/400 Solarmax III DS

Was kann man sehen?

A Protuberanzen
Sie bestehen aus dichtem, heissem Gas und erinnern an züngelnde Flammen, Feuerbögen und Vulkanausbrüche.
Es gibt zwei Arten von Protuberanzen: Aktive und ruhige. Aktive Protuberanzen sind sehr hell, ändern rasch ihre Gestalt und sind von kurzer Dauer (ein paar Stunden). Die ruhigen Protuberanzen sind weniger dynamisch und lösen sich oft erst nach mehreren Wochen auf.

B Filamente
Protuberanzen, die man statt am Rand auf der Sonnenoberfläche sieht (Blick von oben), werden als Filamente bezeichnet. Auch diese können aktiv wie auch ruhig sein. Bei den Filamenten erkennt man weniger gut zeitliche Veränderungen.

C Sonnenflecken
Das sind Stellen, an denen Bündel von Magnetfeldlinien auf der Sonnenoberfläche den Auftrieb von heissem Gas abschwächen. Diese Stellen sind etwa 1000 Grad kühler und erscheinen darum als dunkle Flecken.

D Plages (Chromosphärische Fakeln)
Sie zeigen sich als weisslich (-gelbe) aufgehellte Gebiete und künden Sonnenaktivität und baldige Sonnenflecken an. Plages gehören zu den langlebigsten Erscheinungen (mehrere Wochen) auf der Chromosphäre.

E Spikulen
Spikulen sind als kleine, schnelllebige Spitzen am Sonnenrand sichtbar (etwa ab 40facher Vergrösserung)

Gehört irgendwie dazu! 

Noch spannender wird das Beobachten mit Hilfe des Internets. Rund um die Uhr hat jedermann Zugriff auf aktuelle Fotos von professionellen Sonnenteleskopen. Dabei übertreffen nach meiner Erfahrung die Schwarz-Weiss-Bilder aus Australien (Morgen und Vormittag) und jene aus Chile (Nachmittag und Abend) vor allem wegen des Kontrastes und der Auflösung alle anderen. Eines sei hier gesagt:
All das, was man auf den Bildern sieht, kann man auch durchs Okular des Solarmax St 70/400 erkennen.

Zwei Bilder von zwei verschiedenen H-alpha Teleskopen (l. Oestereich / r. Australien) Beide Fotos zeigen die Sonne zur gleichen Zeit

Die Beobachtungsorte beim Testen 

v.l.n.r. Gartensternwarte in Willisau – Mitten im Grünen | Gartensternwarte in Willisau mit fixer Säule. Montierung: Vixen Sphinx SXD2 mit Starbook Ten / Teleskop: Solarmax ST 70/400 DS / Okular: Baader Hyperion Universalzoom Mark IV, 8-24 mm  | Sternwarte Sattenlegi, Steinhuserberg: Kurt am Beobachten der Sonne. Stativ: Holzstativ von Berlebach / Montierung: Vixen Sphinx SXD2 mit Starbook Ten / Teleskop: Solarmax ST 70/400 DS / Okular: Baader Hyperion Universalzoom Mark IV, 8-24 mm 

Fazit nach 3 Wochen 

Das Solarmax ST 70/400 DS darf sich sehen lassen und das Arbeiten mit ihm macht Spass. Es ist leicht, handlich und schnell einsatzbereit. Im Gegensatz zu den heizbaren Filtersystemen, die wegen der obligaten Brennweitenverlängerung nur Auschnitte zeigen, sieht man hier beim Blick durchs Okular immer die ganze Sonne - je nach Vergrösserung vor einem mehr oder weniger grossen schwarzen Hintergrund.

A propos Vergrösserung und Okular:

Zum Teleskop gehört nicht nur ein stabiler und hochwertiger Koffer sondern auch ein Okular mit 18 mm Brennweite. Das ist zu wenig und genügt nicht fürs Beobachten. Deshalb habe ich das Baader Hyperion Universalzoom Mark IV, 8 – 24 mm benutzt. Das Schöne dabei: Man kann mit einer leichten Handbewegung blitzschnell die Bildgrösse ändern (17fache bis 50fache Vergrösserung).

Ich hatte meistens die Brennweite auf 12 mm eingestellt (33fach), weil mir diese in Bezug auf Helligkeit, Grösse und Detailerkennung am besten passte.

Und die anderen Brennweiten? Vielleicht lag es am Seeing; denn mit der 50fachen Vergrösserung (8 mm) hörte der Spass auf. Das war beim Coronado SM 90 DS völlig anders. Da ging die Post erst richtig ab. Beim doppelten Preis darf man diese Zugabe aber auch erwarten!

Während das ST 70/400 die Sonne recht hell und eher plakativ abbildete, punktete das SM 90/800 DS mit einer dunkleren, detailreichen und dreidimensionalen Darstellung. Man müsste schon sehr viel Zeit haben, wollte man alles anschauen; was einem das SM 90 jeweils präsentiert.

Wer diese nicht hat, gerne nach Protuberanzen Ausschau hält und sie den Oberflächendetails vorzieht; der ist mit der kleineren Version gut bedient.

Und noch etwas:
Das ST 70/400 DS kostet gerade mal halb so viel wie ein ST 90/800 DS. Warum also nicht das restlich gesparte Geld auf die hohe
Kante legen mit dem Vermerk «Für eine Reise in ein Land, wo am Tage x eine echte Sonnenfinsternis stattfindet»?